Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung

    11. Januar 2005 von Dr. Claus-Burkard Böhnlein

    Deutschland ist auf dem Weg in eine Wissensgesellschaft - so titeln die Medien seit einigen Jahren. Aber wie sieht es in der öffentlichen Verwaltung aus? Das Schlagwort eGovernment suggeriert hier den Wandel von der guten alten Amtsstube zu einem schillernden Internet-Office. Der Beitrag versucht mit dem einen oder anderen Missverständnis im Bezug auf die Zukunft der öffentlichen Verwaltung aufzuräumen, zeigt zunächst die Zielsetzung im Bereich des eGovernment auf und stellt anschließend den Beitrag des Wissensmanagement an dem bevorstehenden, dringend notwendigen Wandlungsprozess auf.

    1. Einführung

    Wissen basiert auf Informationen und wird durch Lernen vermehrt. Es unterliegt einer Halbwertszeit, muss somit aufgefrischt werden um nicht verloren zu gehen. Wissen kann unter den Mitarbeitern eines Unternehmens geteilt werden oder aber auch strategisch genutzt bzw. zurückgehalten werden. Im ersten Fall ist es eine nahezu unerschöpfliche Ressource für funktionierende Wissensunternehmen und Basis für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg, im zweiten Fall ist es eine strukturelle Ineffizienz in der Unternehmensorganisation.

    Der Wandel von einem Industrieunternehmen in ein Wissensunternehmen erfordert eine Verlagerung der Aufgabenschwerpunkte. Neben die physische Wertschöpfung, die Rohstoffe in Produkte umwandelt, tritt verstärkt die intellektuelle Wertschöpfung, die auf dem Rohstoff Wissen basiert. Während die physische Wertschöpfung in Industrieunternehmen gekennzeichnet ist durch

    • einfache und komplexe Produkte,
    • Optimierung abgegrenzter Organisationseinheiten,
    • Verbesserung von Routineabläufen und
    • Einsatz von Standardsoftware,

    basiert die intellektuelle Wertschöpfung in Wissensunternehmen auf

    • professionellen Dienstleistungen,
    • Verbesserung der wissensintensiven Prozesse,
    • intensivem Wissensaustausch zwischen Organisationse= inheiten, Prozessen und Projekten,
    • Nutzung von Wissenspools und -netzwerken im Intranet und Internet sowie
    • flexiblen Organisationsformen mit ausgeprägter Wissenskultur (vgl. Palass, B.; Serva­tius, H. 2001, S. 8-9).

    Doch während Unternehmen sich der Herausforderung dieses Wandels stellen, scheint die öffentliche Verwaltung dem Thema noch sehr reserviert gegenüber zu stehen. Dies wird durch die aktuelle Finanzsituation der öffentlichen Haushalte sicher nicht verbessert.

    Der Beitrag zeigt zunächst die Zielsetzung im Bereich des eGovernment auf und stellt anschließend die Bedeutung des Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung dar.

    2. Wandel durch eGovernment

    Unter dem Schlagwort eGovernment sollen durch den Einsatz von moderner Informations- und Kommunikationstechnik Verwaltungsleistungen zukünftig effizienter und bürgerfreundlicher abgewickelt werden. Mit der Initiative BundOnline2005 wurde im Jahr 2000 auf der Expo in Hannover eGovernment zum politischen Programm (vgl. BundOnline2005). Ziel ist es, bis 2005 alle online­fähigen Verwaltungsleistungen über das Internet verfügbar zu machen. Die Bundesländer folgten dieser Initiative mit eigenen eGovernment-Programmen. So entstanden auf Bundes- und Landesebene Behördenwegweiser, d. h. im Internet verfügbare Kataloge und Beschreibungen von Verwaltungsleistungen, und eine Vielzahl von in Einzelprojekten realisierte Online-Dienste.

    Da aber die meisten Projekte politisch motiviert und nicht zentral koordiniert wurden, entwickelte sich eine bunte Sammlung von im Internet verfügbaren Einzelleistungen, die meist nicht im Sinne einer durchgängigen Verwaltungsabwicklung vernetzt werden können. Neuere Aktivitäten auf Landesebene versuchen durch eine zentrale Koordination diese Fehler zukünftig zu vermeiden.

    Beispielhaft seien hier die Aktivitäten der Bundesländer Hessen und Bayern genannt. Hessen führt auf Landesebene SAP R/3 ein mit dem Ziel die Informationsgewinnung und Datenqualität für politische Entscheidungen nachhaltig zu verbessern. Durch die Umstellung von der in Verwaltungen üblichen Kameralistik auf die in Unternehmen übliche doppelte Buchführung wird zudem die Grundlage für ein effizientes Controlling geschaffen. Überspitzt formuliert wird es zukünftig bei einer politischen Entscheidung nicht nur möglich sein fest zu stellen, dass das beschlossene Budget ausgegeben wurde, sondern auch wie effizient die Mittelverwendung war.

    In Bayern wurden 2001 mehrere Arbeitsgruppen eingesetzt, mit dem Ziel, Abläufe zu vereinfachen und zu standardisieren, die Vielfalt der eingesetzten Softwarelösungen zu reduzieren sowie in einer umfassenden Befragung alle Verwaltungsleistungen auf Landesebene zu erfassen und zu analysieren (vgl. eGovBayern). Insgesamt wurden über 1400 Verwaltungsleistungen erhoben und untersucht (vgl. Government-Integration). Bemerkenswert ist, dass dies die größte und umfassendste Leistungsübersicht in der öffentlichen Verwaltung und bislang in dieser Form immer noch die einzige ist. Die Bemühungen in Bayern führten dazu, dass inzwischen Gruppen von Verwaltungsleistungen gebildet werden konnten, die gleichartig strukturiert sind und deshalb ministerienübergreifend mit der gleichen Technologie unterstützt werden können. Teure Doppelentwicklungen können so vermieden werden. Neben der horizontalen Abstimmung wird aber auch eine vertikale Abstimmung mit dem Bund, den Regierungsbezirken, Landeskreisen, Kommunen und Gemeinden forciert. Denn nur abgestimmte Abläufe können langfristig durchgängig unterstützt werden und dadurch zu einer effizienteren und kostengünstigeren Abwicklung führen.

    Nachdem jeder Bürger durchschnittlich 1,2 Behördenkontakte pro Jahr hat, ist es falsch zu glauben, dass eGovernment den größten Nutzen beim einzelnen Bürger stiftet. Vielmehr müssen vorrangig die verwaltungsinternen Abläufe integriert und effizienter gestaltet werden. Hier spielt Wissensmanagement eine zentrale Rolle.

    3. Aspekte des Wissensmanagement im eGovernment

    Wenn also über Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung gesprochen wird, dann geht es zunächst darum eine Bestandsaufnahme des status quo vorzunehmen, bevor weiterführende Aktivitäten entfaltet werden können. Diese richten sich dann nach der Innen- bzw. Außensicht sowie dem Grad der Strukturiertheit der Verwaltungsleistung bzw. der auszuführenden Tätigkeit.

    Abhängig von diesen Parametern müssen unterschiedliche Methoden und Technologien für das sammeln, strukturieren, speichern und verfügbar machen des in öffentlichen Verwaltungen vorhandenen Wissens eingesetzt werden.

    3.1 Außen- bzw. Bürgersicht

    Die bislang aufgebauten Behördenwegweiser sind strukturierte Übersichten der in öffentlichen Verwaltungen angebotenen Leistungen. Sie stellen somit eine umfassende Wissensrepräsentation dar. Die Namensgebung und Struktur dieser Leistungskataloge orientiert sich aber nicht an der Bürgersicht, sondern vielmehr an den gewachsenen internen Verwaltungsstrukturen. Die Nutzung dieser Übersichten ist damit für sporadische Nutzer nur erschwert möglich. Dieses Manko wird auch durch die thematische Strukturierung nach so genannten Lebenslagen nicht endgültig behoben.

    Es fehlt hier eine Ratgeberfunktionalität, die den Bürger in einem umgangssprachlichen Dialog zu der gewünschten Leistung führt (vgl. Gabriel 2004, S. 46-48). Und dort sollten nicht nur, wie bislang üblich, ausschließlich Formalia wie Öffnungszeiten, Kurzbeschreibung und Voraussetzungen bekannt gegeben sowie ein Formular-Download angeboten werden, sondern vielmehr sollte eine durchgängige Verwaltungsleistung angestoßen werden können. Durch eine geeignete Dialogführung mit Prüfroutinen könnten so bereits bei der Antragstellung Falschangaben sowie unnötige Behördengänge vermieden werden. In der Konsequenz könnte allein durch vollständige Unterlagen und weniger unnötige Bürgerkontakte die Effizienz der Verwaltungsmitarbeiter spürbar verbessert werden. Voraussetzung dafür ist aber eine Wissensrepäsentation im Sinne eines Expertensystems, das anhand eines regelbasierten Dialogs zielgerichtet die gewünschte Information aus der Wissensbasis extrahiert (vgl. Thome 1990, G3.1).

    Als eine persönliche Anlaufstelle für den Bürger wird es zukünftig vermehrt Call-Center und so genannte Bürgerbüros geben. Auch dort kann das beschriebene Expertensystem eingesetzt werden, um Bürgeranfragen effizient zu beantworten. Die Mitarbeiter können dann eine große Anzahl unterschiedlicher Verwaltungsleistungen an einem Arbeitsplatz auslösen bzw. vollständig bearbeiten. Für den Bürger bedeutet dies nur einen einzigen Behördenkontakt für unterschiedliche Leistungen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von One-Stop Government (vgl. Thome 2003, S. 225-226).

    3.2 Innen- bzw. Behördensicht

    Aus Behördensicht werden wesentliche Verbesserungspotentiale durch eine Integration und medienbruchfreie Gestaltung der verwaltungsinternen Prozesse erreicht. Für eine sinnvolle Unterstützung durch ein so genanntes Workflow Management System (WMS) müssen die Abläufe aber strukturiert und in standardisierte Teilaktivitäten zerlegbar sein. Die Modellierung der einzelnen Workflows, Zuständigkeiten und Vertretungsregeln stellt eine weitere Form der Wissensrepräsentation in der öffentlichen Verwaltung dar. WMS werden in öffentlichen Verwaltungen mit eAkte-Sytemen kombiniert. Dort werden die notwendigen bürgerbezogenen Daten in einer elektronischen Akte gespeichert und bedarfsgerecht im Workflow der Leistungserbringung durch das WMS aufgerufen.

    Sind die Verwaltungstätigkeiten dagegen unstrukturiert, dann kann das benötigte Wissen in Datenbanken bzw. Dokumenten Management Systemen zentral abgelegt werden. Die zentrale Speicherung ermöglicht zum einen den dezentralen Zugriff durch berechtigte Verwaltungsmitarbeiter und erlaubt zum anderen durch eine automatische Verschlagwortung einen zentralen Aufbau von Metadatenstrukturen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, dass die Anwender die gewünschten Daten bzw. Dokumente auch wieder auffinden. Der Nachteil dieser Konzepte liegt aber darin, dass das Wissen meist in einem eigenen Prozess archiviert werden muss. Gerade bei den hier betrachteten unstrukturierten Tätigkeiten muss dies aber durch den Träger des Wissens aktiv veranlasst werden (Push-Ansatz). Dies führt bei mangelnder Disziplin bzw. bei strategischem Verhalten der Mitarbeiter zu einer unvollständigen Wissensrepräsentation.

    Dieses Manko kann durch neuere Ansätze behoben werden. Dokumente, die auf lokalen Arbeitsplatzrechnern gespeichert sind, werden mit Suchmaschinen gescannt und automatisch verschlagwortet (Pull-Ansatz). Die Metadaten werden zentral gespeichert und stehen für dezentrale Suchanfragen allen berechtigten Mitarbeitern zur Verfügung. Bei dieser Vorgehensweise müssen die Mitarbeiter ihre persönliche Arbeitsweise nicht verändern.

    Der Zugriff auf das gespeicherte Wissen kann zusätzlich verbessert werden, wenn neben der Verschlagwortung auch semantische Netze in der Metadatenstruktur aufgebaut werden (vgl. TopicMaps). Diese beruhen auf Beziehungen des Suchbegriffs mit sprachlich bzw. inhaltlich verwandten Begriffen. Bei Eingabe des Begriffs "Schiller" werden dann Treffermengen zu dem Dichter und dem Politiker aufgebaut. Die Navigation durch die Treffermenge erfolgt nicht mehr listenorientiert, sondern vielmehr hierarchisch und kann durch geeignete Oberflächen intuitiv und ohne explizite Kenntnis der Metadaten genutzt werden

    .

    4. Fazit

    Die dargestellten Aspekte zeigen das breite Einsatzgebiet des Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung. Es wurde aber auch erwähnt, dass die öffentlichen Verwaltungen erst am Anfang eines effizienten systemgestützten Wissensmanagements stehen. Von zentraler Bedeutung wird deshalb eine durchgängige Konzeption sein, die insbesondere auch alle anderen Basiskomponenten der Systemlandschaft berücksichtigt und integriert.

    5. Quellen

    BundOnline2005. www1.bund.de/nn_532/Content/BundOnline-2005/BundOnline-2005 -knoten.html__nnn=3Dtrue.
    eGovBayern. www.bayern.de/Wirtschaftsstandort/eGovernment/informationen.html..
    Gabriel, A.: Ihr Ratgeber rund um Internet und E-Business. In: Grohmann, H. (Hrsg.) KMUplus-Magazin 1 (2004) 1. WIN, Vaterstetten 2004= , S. 46-48.
    Government-Integration. www.government-integration.de.
    Palass, B.; Servatius, H.: WissensWert - Mit Knowledge-Management erfolgreich im E-Business. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2001.
    Thome, R.: Wirtschaftliche Informationsverarbeitung. Vahlen, München 1990.
    Thome, R.: One-Stop Government. In: Schildhauser, T. (Hrsg.) Lexikon Electronic Business. Oldenbourg, München 2003.
    TopicMaps. www.topicmaps.org.

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