Einführung von sozialen Technologien im Unternehmen - Erfolgsfaktor Mensch

    19. April 2013 von Christoph Schmaltz

    Heute gibt es kaum ein Unternehmen, das nicht schon mit sozialen Technologien experimentiert hat. Die hochgesteckten Erwartungen haben sich jedoch nur in den seltensten Fällen voll erfüllt. Wird diese neue Softwarekategorie das gleiche Schicksal wie die erste Generation von Wissensmanagementtools erleiden? Ernüchterung macht sich breit, aber auch die Einsicht, dass es sich bei der Einführung von sozialen Technologien nicht um ein typisches IT-Projekt handelt und dass dies kein Sprint, sondern ein langwieriger Prozess ist.

    In den letzten 10 Jahren haben soziale Technologien in vielen kleinen und großen Unternehmen Einzug gehalten. In zahllosen Fallstudien (PwC [1], CEMEX [2], Swiss Re [3]) und Studien [4, 5] wurde der Einsatz von diesen neuen Technologien beschrieben und der Erfolg für die Unternehmen nachgewiesen. Gleichzeitig gibt es wahrscheinlich eine gleich große Anzahl an Fallstudien und Studien, die den Erfolg von sozialen Technologien in Zweifel ziehen. Gartner [6] zum Beispiel prophezeit, dass 80% aller Initiativen, bei denen es um die Einführung und Nutzung von sozialen Technologien geht, bis ins Jahr 2015 nicht den gewünschten Mehrwert bringen werden. Die Gründe sieht Gartner vor allem darin, dass viele Unternehmen (und damit die Menschen hinter diesen Unternehmen) diese Initiativen als traditionelle IT-Projekte missverstehen. In das gleiche Horn stößt auch McKinsey in ihrer kürzlich veröffentlichten vergleichenden Studie [7]. Sie haben beobachten können, wie Unternehmen in den letzten drei Jahren soziale Technologien eingeführt haben und nutzen. Auch in diesem Jahr berichten Unternehmen von wirtschaftlichen Vorteilen durch den Einsatz dieser Technologien. Jedoch scheint es immer schwieriger, einen größeren Mehrwert aus ihnen zu ziehen. Ähnlich wie beim Marathon scheint es fast so, als haben die Unternehmen eine unsichtbare Barriere erreicht. Diese Barriere hängt stark mit der traditionellen Unternehmensorganisation und -kultur zusammen. Sowohl Gartner als auch McKinsey weisen daraufhin, dass sich Kultur, Organisation und Prozesse eines Unternehmens ändern müssen, um soziale Technologien mit größtmöglichen Auswirkungen auf Unternehmensziele nutzen zu können.

    wirtschaftliche Nutzen von sozialen Technologien ist stark abhängig vom Reifegrad des Unternehmens
    Darstellung: Der wirtschaftliche Nutzen von sozialen Technologien ist stark abhängig vom Reifegrad des Unternehmens

    Was soziale Technologien fördern aber auch gleichzeitig fordern ist nichts weniger als eine neue Organisationsform - das vernetzte Unternehmen. Je nach Unternehmensgröße ist dieser Kultur- und Organisationswandel jedoch in der Regel extrem schwierig, kostspielig und vor allem sehr langwierig. Auf der anderen Seite können große Unternehmen aufgrund von Netzwerkeffekten am stärksten vom Einsatz sozialer Technologien profitieren.

    Für Verantwortliche von Initiativen zur unternehmensweiten Einführung von sozialen Technologien ergibt sich hierdurch ein Dilemma. Neben Technik, Mitarbeitern und Organisation hängt der Erfolg ihrer Initiative stark von der Unternehmenskultur und -struktur des Unternehmens ab.


    Darstellung: Unternehmensstruktur und -kultur können nur indirekt beeinflusst werden, sind aber für den Erfolg von sozialen Technologien sehr wichtig

    Gleichzeitig können sie beides kurz- und mittelfristig nicht entscheidend beeinflussen. Zugespitzt bedeutet dies, dass ihre Initiative bereits von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Dieses Dilemma ähnelt dem Henne-Ei-Problem. Sollen Unternehmen erst ihre Unternehmenskultur und -struktur anpassen oder aber soziale Technologien als Katalysator für diese Veränderungsprozesse nutzen [8]?

    Viele Unternehmen entscheiden sich für die Einführung von sozialen Technologien als ersten Schritt. Aus zahllosen positiv und negativ verlaufenen Fallstudien lassen sich eine große Anzahl an Erfolgsfaktoren für die Bereiche Technik, Organisation und Mitarbeiter ableiten. In diesem Triumvirat für die erfolgreiche Einführung von sozialen Technologien nehmen Mitarbeiter einen ganz besonderen Stellenwert ein. Anders als bei der Einführung von herkömmlicher Software spielen die Befürchtungen, Vorbehalte und gelernten Verhaltensweisen von Mitarbeitern bei der Benutzung von sozialen Technologien eine besonders wichtige Rolle. Wenn man diese ignoriert oder aber versucht mit traditionellen Methoden zu adressieren, kann sich dies negativ auf den Erfolg der Initiative auswirken.

    Aus Literatur und Praxis sind eine Handvoll von Change Management Modellen bekannt (Lewin’s Change Management Modell [9], McKinsey 7-S Modell [10], Kotter’s 8 Step Change Modell [11]). Diese sind teilweise jedoch sehr theoretisch, generisch und unflexibel. Sie können daher nur in Ansätzen zur Einführung von sozialen Technologien angewendet werden. Da jedes Unternehmen eine andere Kultur hat und diese von den Mitarbeitern gelebt wird, gibt es auch nicht DAS eine Erfolgsrezept und nicht DIE eine Strategie zur Einführung und Verankerung von sozialen Technologien. Jedoch haben sich in der Vergangenheit die folgenden Elemente herauskristallisiert, die zur Beeinflussung der Mitarbeiter und somit zum Erfolg entscheidend beitragen können.

    1. Bildung & Coaching
    2. Kommunikation
    3. Promotion & Marketing
    4. Champions, Super Heros, Advocates
    5. Nutzen & Vorteile 6. Verhaltenspsychologie
    6. Evaluation

    Bildung & Coaching

    Im Vergleich zu herkömmlichen Ansätzen zur Einführung von Software und traditioneller Wissensmanagementlösungen gibt es drei wesentliche Unterschiede zur Einführung von sozialen Technologien. Zum einen handelt es sich hier nicht um funktionales Training, in dem Funktionen von Software im Vordergrund stehen. Es wird also nicht erklärt, was die verschiedenen Funktionen der Software sind, sondern wie Mitarbeiter diese für sich selber zielführend einsetzen können. Somit ist es sehr wichtig von Anfang an zu verstehen, welche Probleme man für Mitarbeiter mit der Software lösen kann (siehe auch Nutzen und Vorteile). Der zweite Unterschied ist das Vermitteln von neuen Verhaltensweisen im Gegensatz zum reinen Softwaretraining. Wie eingangs erwähnt, fordern und fördern soziale Technologien neue Verhaltensweisen. Bei vielen Mitarbeitern gibt es gerade hier Vorbehalte und Befürchtungen, vor allem wenn es zu unglücklichen Assoziationen kommt, wie z.B. Facebook oder Wikipedia für das Unternehmen. Der dritte Unterschied ist die Einbeziehung des mittleren und oberen Managements. Zu oft passiert es, dass gerade das obere Management denkt, dass soziale Technologien für ihre Mitarbeiter sind, aber nicht für sie. Dabei sind auch diese Manager Mitarbeiter des Unternehmens und spielen für den Wandel der Unternehmensstruktur und -kultur eine sehr wichtige Rolle. Die Hauptfrage, die sich in diesem Zusammenhang stellt ist, wie man Manager dazu bringt, nicht nur finanzielle und verbale Unterstützung (wie viele CEO Launch Videos für Kollaborationsplattformen gibt es?) zu geben, sondern sich auch aktiv einzubringen.

    Kommunikation

    Auch bei der Kommunikation sollte man neue Wege gehen. Natürlich bietet es sich gerade bei der Einführung von Enterprise Social Networks, Microblogs oder Social Intranets an diese gleich als Kommunikationsmedium im Einführungsprojekt zu nutzen. Jedoch ändern sich bei der Einführung von sozialen Technologien unter anderem auch der Absender der Kommunikation (nicht allein das Projektteam) und vor allem die Inhalte, z.B. die Hervorhebung des Nutzens für den individuellen Mitarbeiter und nicht der gesamten Organisation, Storytelling statt Beschreibung von Softwarefunktionen.

    Promotion und Marketing

    Dieser Bereich ist stark von der Unternehmenskultur abhängig. Am besten vertraut man hier auf was sich bereits früher im Unternehmen bewährt hat. Ein Wort der Warnung sei dennoch angebracht. Falls möglich, sollten Unternehmen auf Promotion durch Vergabe von Sach- oder Geldwerten Abstand nehmen. Falls diese dennoch in Betracht kommen, sollte man ganz genau darauf achten, für welche Aktivitäten diese ausgelobt werden, z.B. wer erstellt die meisten Inhalte anstatt vs. wer erstellt die nützlichsten Inhalten. Je höher die Belohnung und je niedriger die Hürden zum Mitmachen, desto wahrscheinlicher, dass Menschen das System ausnutzen.

    Champions, Super Heroes, Advocates

    Egal wie man sie nennen möchte, sie sind die Mitarbeiter, die einen entscheidenden Anteil am Erfolg sozialer Technologien haben können. Gemäß der Vision eines vernetzten Unternehmens, in dem ehemals zentralisierte Stellen in dezentralisierter Form arbeiten, muss sich auch das Verständnis einer Projektgruppe zur Einführung von sozialen Technologien ändern. Diese sind nicht länger Dreh- und Angelpunkt. Sie ermöglichen es lediglich anderen Champions, Super Heroes, Advocates Ideen, Inhalte, Möglichkeiten an jeweils ihr eigenes Netzwerk weiterzugeben. Sprich, das Projektteam nutzt Netzwerkeffekte, um mehr Mitarbeiter direkt und besser zu beeinflussen, als dies mit herkömmlichen Kommunikationsmethoden (z.B. Email Rundmail) bisher möglich war. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang jedoch stellt ist, wie man die Champions, Super Heroes, Advocates identifiziert, mit in die Initiative miteinbezieht und sie bei Laune hält.

    Nutzen & Vorteile

    Es ist relativ unwichtig, wie toll das Marketing für die neue Software ist. Falls diese Mitarbeitern bei der täglichen Arbeit nicht hilft, wird die anfängliche Euphorie schnell verfliegen. Neben Nutzerfreundlichkeit, Zugangsmöglichkeit und User Experience ist Nützlichkeit das Hauptkriterium für Mitarbeiter neue Software freiwillig zu nutzen. In sogenannten Use Cases muss definiert werden, für welche Zwecke Software eingesetzt werden soll. Das ist bei der traditionellen Einführung von Kollaborationssoftware nicht anders gewesen. Jedoch wurde dabei häufig der Mehrwert für die Organisation in den Vordergrund gestellt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass dies für viele Mitarbeiter zu abstrakt und irrelevant ist. Für sie ist es viel wichtiger, wie die Software ihnen persönlich hilft.

    Die Differenzierung zwischen dem Nutzen für den einzelnen Mitarbeiter und des Unternehmens ist wichtig. Genauso wichtig ist jedoch auch die genaue Definierung von Use Cases, da sich diese in der Kommunikation und dem Training widerspiegeln. Dabei haben es sich Unternehmen in der Vergangenheit teilweise sehr leicht gemacht, in dem diese Kollaboration oder Kommunikation als Use Case definiert haben. Diese sind jedoch nur Mittel zum Zweck. Projektverantwortliche müssen klären, was genau dieser Zweck ist.

    Verhaltenspsychologie

    Soziale Technologien erfordern neue Verhaltensweisen von Mitarbeitern. Das Verlernen von alten und Erlernen von neuen Mustern ist eine große Herausforderung. So zum Beispiel ist es für viele Mitarbeiter eines Unternehmens sehr ungewohnt, außerhalb ihres Projektteams oder Abteilung mit anderen Mitarbeitern zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren. Es ist für viele unbehaglich, dass nun nicht mehr nur eine Gruppe von bekannten Mitarbeitern auf ihre Arbeit Zugriff haben, sondern potentiell auch jeder unbekannte Mitarbeiter, inklusive CEO.

    Auch wenn das Erlernen von neuen Verhaltensweisen schwierig ist, so ist es doch nicht unmöglich. Der Wechsel ist eine Konstante im Leben von Menschen und so existieren eine Reihe von Frameworks [12, 13], die während der Einführung von sozialen Technologien genutzt werden können, um bestimmte Verhaltensweisen zu beeinflussen und gegebenenfalls zu ändern.

    Evaluation

    In diesem Zusammenhang geht es nicht nur um den Return of Investment (ROI) der eingeführten Software. Kaum eine Softwarekategorie muss ihren ROI so stark begründen wie soziale Software. E-Mail-, ERP- oder auch CRM-Software werden oft als notwendig hingenommen, wobei soziale Technologien häufig noch als „nice to have“ galten. Dies hat sich in der Vergangenheit teilweise geändert. Der Wunsch den Mehrwert sozialer Technologien zu benennen und zu beziffern, ist nachvollziehbar. Entscheidend ist, wie gut die Use Cases definiert wurden (siehe Nutzen & Vorteile). Zum Beispiel Kollaboration als Mittel zum Zweck kann man nicht genau messen, den Zweck, also das Geschäftsproblem, das man lösen möchte, meistens schon.

    Die Evaluation sollte neben ROI-Rechnungen aber auch andere Elemente betrachten. Hierbei geht es vor allem um das Ändern von Verhaltensweisen und altgedienten Vorstellungen, sowohl von Mitarbeitern als auch Managern. Wie eingangs erwähnt, die Initiative zur Einführung von sozialen Technologien sollte als Katalysator dienen, um dem Ziel eines vernetzten Unternehmens näherzukommen. Am Ende wird diese Initiative nur eine von vielen sein.

    Fazit

    Die Einführung von sozialen Technologien ist kein traditionelles IT-Projekt. Die richtige Technologie ist wichtig, doch noch wichtiger sind die Menschen, die diese benutzen sollen. Und auch hier sind traditionelle Change Management Ansätze nur beschränkt anwendbar.

    Die hier angesprochenen Lösungsansätze zur erfolgreichen Einführung von sozialen Technologien und die damit aufgeworfenen Fragen werden ausführlicher und Einzelfallbezogen mit Teilnehmern in dem Praxis-Seminar „Zusammenarbeit im digitalen Zeitalter“ im Juni diesen Jahres [14] besprochen.

    Literatur/Quellen

    [1] Schillerwein, S. (2013): Spark – taking Collaboration and Corporate Social Networking to a new Level at PwC http://intranet-matters.de/2013/01/18/spark-taking-collaboration-and-corporate-social-networking-to-a-new-level-at-pwc (Abruf: 12. April 2013)

    [2] Hinchcliffe, D. (2012): Social business success: CEMEX. http://www.zdnet.com/blog/hinchcliffe/social-business-success-cemex/1927 (Abruf: 12. April 2013)

    [3] Back, A.; Isenschmid, C.; Jastrowski, W. (2012): “Web 2.0 und Social Media in der Unternehmenspraxis”. 239 ff. Oldenbourg 2012

    [4] McAfee, A. (2012): When Social Meets Business Real Work Gets Done. AIIM. www.aiim.org/SocialMeetsBusiness (Abruf: 12. April 2013)

    [5] Bughin, J.; Chui, M. (2010): The rise of the networked enterprise: Web 2.0 finds its payday, https://www.mckinseyquarterly.com/The_rise_of_the_networked_enterprise_Web_20_finds_its_payday_2716 (Abruf: 12. April 2013)

    [6] Gartner (2013): Gartner Says 80 Percent of Social Business Efforts Will Not Achieve Intended Benefits Through 2015. http://www.gartner.com/newsroom/id/2319215 (Abruf: 12. April 2013)

    [7] McKinsey Global Institute (2013): Evolution of the networked enterprise: McKinsey Global Survey results. http://www.mckinseyquarterly.com/Evolution_of_the_networked_enterprise_McKinsey_Global_Survey_results_3073 (Abruf: 12. April 2013)

    [8] Pontefract, D. (2010): What’s Needed First? Culture Change or Enterprise 2.0 Adoption. http://www.danpontefract.com/what’s-needed-first-culture-change-or-enterprise-2-0-adoption (Abruf: 12. April 2013)

    [9] Burnes B., "Kurt Lewin and the Planned Approach to Change: A Re-appraisal", Journal of Management Studies (41:6 September 2004), Manchester, 2004.

    [10] The McKinsey 7S Framework - Ensuring That All Parts of Your Organization Work in Harmony, http://www.mindtools.com/pages/article/newSTR_91.htm (Abruf: 12. April 2013)

    [11] The 8-Step Process for Leading Change, http://www.kotterinternational.com/our-principles/changesteps/changesteps (Abruf: 12. April 2013)

    [12] Aaker. J.; Smith, A. (2010): The Dragonfly Effect: Quick, Effective, and Powerful Ways To Use Social Media to Drive Social Change.

    [13] Patterson, K.; Grenny, J.; Maxfield, D.; McMillan, R.; Switzler, A. (2007): Influencer: The Power to Change Anything.

    [14] „Zusammenarbeit im Digitalen Zeitalter“. http://www.wissenskontor.de/angebote/seminare/zusammenarbeit-im-digitalen-zeitalter

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