Zukunftsfähig dank Wissensmanagement

    22. November 2010 von Dipl. oec. Rainer Weichbrodt

    Die Entwicklung des intellektuellen Kapitals ist auch für den Mittelstand eine unentbehrliche Zielsetzung geworden. Der Nutzen ist aber nur schwer ermittelbar und tritt oft mit zeitlicher Verzögerung auf. Die H. Brühne Baustoff und Transport GmbH & Co. KG in Dortmund, 1899 gegründet und in der dritten Generation in Familienbesitz, begann sehr früh mit einem Lern- und Wissensmanagement. Heute kann das mittelständische Unternehmen über nachweisbare Erfolge berichten. Ein konsequentes, ganzheitliches Lern- und Wissensmanagement sollte helfen, die Veränderungsprozesse zu bewältigen und die Innovationskraft zu bewahren. Mit der Wissensmanagement-Offensive konnte die Effizienz der Prozess-, Projekt- und Lernarbeit erheblich gesteigert werden und der Umsatz je Mitarbeiter hat sich seither verdoppelt.

    Dieser Beitrag wurde im Open Journal of Knowledge Management, Ausgabe IV/2011 veröffentlicht.


     

    Es gab viel zu tun...

    Die Wurzeln unseres Wissensmanagement- Ansatzes liegen im Jahre 1990. Damals fragten wir uns, wie wir unseren Unternehmenserfolg nachhaltig sichern können. Das daraufhin verabschiedete Konzept Brühne 2000 beinhaltete die Verbesserung so genannter Soft Skills, wie z.B.:

    • Kommunikationsfähigkeit
    • Lernkompetenz
    • Vertrauensbildung
    • Prozessorientiertheit
    • Informationsoptimierung
    • Mitarbeiterorientierung
    • Führungseffizienz
    • Strategieorientierung
    • Qualitäts- und Kundenorientierung

    Neben anderen Geschäftsfeldern betreibt die Brühne-Unternehmensgruppe eine Deponie, die zum damaligen Zeitpunkt sehr hohe Erträge einbrachte. Ein Preisverfall, die zunehmende Recyclingquote und die Erkenntnis der Endlichkeit des Deponievolumens waren Ansporn genug, um umfangreiche Veränderungsprozesse einzuleiten. Damit hatten wir in einer wirtschaftlich günstigen Lage aufgrund dieser Prognose eine Cashflow-Lücke vorhergesagt und unsere Führungskräfte in die Pflicht genommen, bezogen auf die oben genannten Soft Skills Verbesserungen zu bewirken. Soweit zur Theorie.

    Was wir erlebten, hat uns überrascht. Zum Thema Soft Skills einige Aussagen von unseren damaligen Führungskräften:

    •  „Wir sollen das Wir-Gefühl verbessern? Da machen wir nicht mit!“
    •  „Wenn wir gewusst hätten, dass Sie ein Controlling einrichten, wären wir nicht zu Ihnen gewechselt.“
    •  „Der Außendienstmitarbeiter braucht keine Umsatzliste, der soll seine Arbeit machen.“
    • „Wir haben keine Zeit für Strategiefragen, wir müssen uns um das operative Geschäft kümmern.“
    • „Das operative Geschäft ist zwar defizitär, aber das müssen Sie strategisch sehen.“

    Wenn sich die Erfolgskultur über die fixierten Soft Skills definieren sollte, mussten wir eine Misserfolgskultur haben. Aber die Erträge waren doch zufriedenstellend, oder? Nein, das konnten sie nicht sein. Von den damals 177 Mitarbeitern arbeiteten 20 im Deponiebetrieb, dem einzigen Geschäftsfeld mit positivem Ertrag. Die restlichen 157 Mitarbeiter waren im Zentralbereich oder in defizitären Geschäftsbereichen tätig. Zur Steuerung ermittelten wir die Zielgröße: das um den Deponieertrag reduzierte Geschäftsergebnis. Dieses lag deutlich im Minus-Bereich. Es gab also viel zu tun und wir packten es an.

    Veränderungsprozesse erfordern ein Umdenken

    Sie sind sicher neugierig, wie wir unsere Führungskräfte zum Umdenken gebracht haben. Nun, einige haben gelernt, andere nicht. Die oben zitierten Mitarbeiter sind letztendlich alle nicht mehr im Unternehmen – und das ist gut so. Ich sage das heute mit aller Deutlichkeit, weil wir lange gezögert haben und glaubten, dass rigide Personalentscheidungen den Weg zu einer Vertrauenskultur verbauen könnten oder intellektuelles Kapital verloren ginge. Das Gegenteil war der Fall.

    Die Unternehmenskultur wird geprägt durch das Verhalten der Führungskräfte und Mitarbeiter. Strebt man eine bestimmte Kultur an, ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass auch danach gehandelt wird. Und wenn alle Unterstützungen nicht helfen, muss man sich früh von Mitarbeitern und Führungskräften trennen. Nach einer Konsolidierungsphase bis 1995, in der wir die Mitarbeiterzahl auf 77 reduzierten, begann eine Phase der Marktdurchdringung, die bis heute andauert. Außerdem gehörten dazu u.a.:

    • Erneuerung der Informations- und Kommunikationstechnologie
    • Einführung von diversen Management- Systemen (ISO, EFQM u.a.)
    • Einführung der Balanced Scorecard
    • ein Rating-orientiertes Reporting
    • konsequentes Wissensmanagement

    Die Mitarbeiter und Führungskräfte gestalteten die Kommunikationsprozesse in einer flachen Hierarchie. Interdisziplinäre Teams arbeiteten standortübergreifend in Projekten, aber auch immer mehr im Tagesgeschäft kooperativ zusammen. Gleichzeitig konnte der Marktanteil deutlich gesteigert und der Ertrag je Mitarbeiter gegenüber 1990 verdreifacht werden.

    Damit entstand ein weiteres Problem: Die in Prozesszeit, Projektzeit und Lernzeit aufgeteilte Arbeit von Führungskräften und Mitarbeitern wuchs überproportional. Das Ganze drohte in ein „Nicht schon wieder ein Meeting“-Denken zu enden. Um Burn-out-Effekten und Produktivitätsverlusten vorzubeugen, suchten wir nach Möglichkeiten, die Effizienz von Prozessen, Projekten und Lernen zu erhöhen. Die Alternativen, Veränderungsprojekte zu stoppen oder Personalkapazitäten zu erhöhen, hatten wir zunächst zurückgestellt. Wir sahen zu viele Chancen in diesen Veränderungsprozessen, scheuten aber eine Erhöhung der Kosten. Könnte Wissensmanagement unsere Innovationskraft erhalten helfen?

    Ganzheitliches Wissensmanagement mit Erfolgskontrolle 

    Wir haben im Rahmen der Umsetzung  des Konzepts Brühne 2000 sicher schon Elemente des Wissensmanagements realisiert. Den Begriff verwendeten wir aber erst ab dem Jahre 2000. Es folgte eine intensive Lernzeit zu den Themen Denken, Lernen und Wissen. Uns war klar, dass es nicht allein eine Frage der Informationstechnologie sein konnte. Vielmehr standen der Mensch und die Organisation im Vordergrund. Außerdem ging es eigentlich nicht um das Wissen an sich, sondern um wissensbasiertes Tun und wissensorientierte Unternehmensführung. Es kristallisierten sich die drei Schwerpunkte Mensch – Organisation – Technik heraus, zu denen wir jeweils einen Schlüsselbegriff formulierten: Lernziele (Skills), Zusammenarbeit (Community) und Vernetzung (Internet).

    Die Perspektiven eines ganzheitlichen Wissensmanagements und ihre Umsetzung

    Perspektive

    Schlüsselbegriff

    Bedeutung

    Beispiele

    Mensch

    Lernziele

    Skills der Zukunft

    systemisches Denken
    Kreativitätsmethoden
    Gestaltungskompetenz
    Medienkompetenz

    Organisation

    Community

    Wissensorientierte Formen der Zusammenarbeit

    Kompetenznetzwerke
    Quatlitätsteams

    Technik

    Internet

    technische Vernetzung

    Internet-Communities
    Groupware/Internet

     

    Neben internen Schulungen zu den in den Lernzielen definierten Skills wurde eine neue Software eingeführt. Unser damaliges Intranet war mehr ein Informationspool [1] und hatte kaum Groupware-Funktionen. So entschieden wir uns für eine Wissens-Community [2], eine Art virtueller Fan-Club des Unternehmens, in dem die Mitarbeiter sich standort- und themenübergreifend gestalterisch einbringen. Die Wahl fiel im Jahre 2001 auf PHP-Nuke, ein kostenloses Content-Management-System auf Basis der Internet-Technologie.

    Innerhalb von zwei Wochen standen sämtliche Dokumente des alten Intranets über die Community zur Verfügung. Darüber hinaus sind weitere Wissensressourcen wie Enzyklopädien, Bücherecke, News, Web-Links, Downloads, Mediathek und viele weitere vorhanden. Als Kommunikationsressourcen stehen z.B. Webmail, Private Messages, Chaträume und Foren zur Verfügung. Über Bewertungsmechanismen wie Umfragen, Kommentare und Punktevergabe für die Inhalte haben wir ein gutes Feedback. Über die eingebauten Web-Analysen wissen wir, wer sich in welcher Intensität aktiv oder passiv beteiligt. Zunächst konnten wir die Community ohne zusätzlichen Personalaufwand weiterentwickeln. Für den Content sorgten die Mitarbeiter von ihrem Arbeitsplatz aus. Sie mussten nur lernen, wie sie ihre Arbeitsergebnisse veröffentlichen. Aufgrund der gewählten Open-Source-Lösung konnten wir das Community-Tool auf unsere Bedürfnisse weiterentwickeln. In einem Reklamationsmodul werden nun Reklamationen in der Community unmittelbar erfasst. Die Beteiligten erhalten in Echtzeit die Information per Private Message. Über Ampelfunktionen wird über den Stand der Reklamationsbearbeitung informiert. Wichtig ist der Lernprozess, der in Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen mündet, die wiederum in das Modul Maßnahmen-Controlling einfließen.

    Der Erfolg kann sich sehen lassen

    Wie ist der Stand unseres Wissensmanagements heute? Mit der Community haben wir das Werteverhalten zum Thema Wissen und Lernen deutlich gesteigert. Und indem die Diskussionen weitgehend auf die virtuelle Plattform verlagert sind, konnte die Anzahl der Meetings wie auch der dafür anfallende Zeitaufwand gesenkt werden, ohne auf wichtige Projekte zu verzichten.

    Das Thema Wissen und Lernen hat einen deutlichen Bezug zur Arbeit erhalten und ist für die Mitarbeiter greifbar geworden. Sie wissen heute, dass Lernen im Unternehmen stattfindet und wie es stattfindet. Sie haben die ursprüngliche Assoziation „Lernen gleich Schulbank“ aufgegeben, auch wenn externe Schulungen natürlich nach wie vor durchgeführt werden. Alle Mitarbeiter haben uneingeschränkten Zugang zu allen Daten, auch zu den Kontenständen der Firma, zur Gewinn und Verlustrechnung oder zur Lost-Order-Quote des Außendienstmitarbeiters. Einzige verborgene Informationen sind Gehälter und Preise. Das zum Thema Vertrauen und Transparenz.

    Die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Gesamtunternehmen Brühne, heute 87 Beschäftigte an 5 Standorten, hat sich deutlich verbessert. Die heutige Unternehmenskultur ist innovativ, leistungsorientiert und stellt dennoch den Mitarbeiter in den Mittelpunkt. Eines wird dabei deutlich: Kopfarbeit schlägt Muskelkraft. Nachdem der eigene Fuhrpark outgesourct wurde, entwickelt Brühne heute Lösungen im Bereich E-Logistik und Telematik.

    Und die Hard-Facts? Das korrigierte Geschäftsergebnis 2003 liegt um mehrere Millionen Euro über dem im Jahr 1990. Der Umsatz je Mitarbeiter hat sich verdoppelt. Das Verhältnis Bankschulden zu Umsatzerlösen verbesserte sich um den Faktor 40, was uns insbesondere im Rahmen des Bankenratings zugute kam. Der Jahresüberschuss je Mitarbeiter hat sich seit 1990 versechsfacht. Gleichzeitig hat sich das intellektuelle Kapital und damit die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens erhöht.

    Unser ganzheitlicher Wissensmanagement-Ansatz hat nun auch bei dem Wettbewerb „Wissensmanager des Jahres 2003“ überzeugen können. Die Commerzbank, die Zeitschrift Impulse und die Financial Times Deutschland verliehen der Brühne-Gruppe diesen Preis für ihr Konzept einer ganzheitlichen und wissensorientierten Unternehmensführung in der Kategorie der Unternehmen bis 250 Mitarbeiter. Mit dem Spin-Off think!t@nk Gesellschaft für Zukunftsgestaltung mbH bieten wir dieses Know-how nun auch anderen Unternehmen an.

    Die verschiedenen Ansätze sind heute in einem eigenen Managementansatz, dem think!t@nk-Management-Modell [3] zusammengefasst. In der Entwicklung ist eine Umsetzung des Modells in ein Expertensystem mit Namen PAMELA, das innerhalb der Community dem
    Management zur Verfügung stehen wird. PAMELA steht dabei für: Planen, Agieren, Messen, Erklären, Lernen, Annahmen treffen.

    Das think!t@nk-Management-Modell
    Das think!t@nk-Management-Modell

    Ausblick

    „Wir sind sehr weit, wir stehen am Anfang“ oder „Panta rhei – alles fließt“, wie es der Philosoph Heraklit formulierte. Das antworte ich gerne, wenn wir gefragt werden, wie weit wir seien. Wir sind 1990 von Punkt A gestartet und im Jahre 2000 bei Punkt B gelandet. Es ist uns eine deutliche Verbesserung gelungen. Allerdings müssen wir bis 2010 bei Punkt C landen, wieder ein weiter und schwerer Weg. Die Globalisierung wird multikulturelle Fähigkeiten und internationale Projekte nötig machen. Der Dienstleistungsanteil wird noch weiter zu steigern sein. Wissensmanagement muss sich beweisen in der Entwicklung neuer Produkte und intelligenter Dienstleistungen – für unsere Führungskräfte erneut eine riesige Herausforderung.

    An der Bewältigung dieser Aufgabe werden wir sehen, wie hoch unser intellektuelles Kapital heute wirklich war. Oder frei nach Seneca: „Von der Zukunft hängt es ab, wie effektiv wir in der Gegenwart gewirkt haben“.

    Literatur:

    [1] Weichbrodt, Rainer: Das Wissensportal – Einstieg ins Wissensmanagement bei KMU. In: wissensmanagement 5/2001.

    [2] Weichbrodt, Rainer: Wissensmanagement im Mittelstand – Erfahrungen mit einer Community-Lösung. In: Wissensmanagement im Ingenieursalltag. VDI-Berichte Nr. 1732/2002.

    [3] Weichbrodt, Rainer: Das think!t@nk-Management-Modell. In: Tagungsband zu Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2004.

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