Wissen aus IT-Projekten für das Unternehmen nutzen

    15. Februar 2002 von Dr. Bernhard von Guretzky

    Die in IT-Projekten anfallende Geschäftsprozessmodellierung lässt sich auch auf sog. Wissensprozesse anwenden. Mit Methoden des Wissensmanagement kann dann sichergestellt werden, dass die Ergebnisse der Geschäftsprozessoptimierung dem Gesamtunternehmen zur Verfügung stehen und nicht als "Abfallprodukte" von IT-Projekten wieder in der Schublade verschwinden.

    That means we do not manage people per se,
    but rather the knowledge that they carry.
    Leadership means creating the conditions
    that enable people to produce valid knowledge
    and to do so in ways that encourage
    personal responsibility.
    Chris Argyris

    Problemstellung

    "Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß", ist nicht nur bei Siemens ein geflügeltes Wort, sondern gilt ebenso für viele andere Organisationen. Dabei ist nicht nur spezifisches Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter gemeint, sondern genauso das "Gedächtnis" und der "Instinkt" des Gesamtunternehmens (siehe [1]). Viele IT-Projekte im Unternehmen werden abgebrochen oder die dabei erzielten Ergebnisse nur unzureichend genutzt. Denn es geht nicht nur darum, Lessons Learnt und Best Practices aus abgeschlossenen Projekten für nachfolgende Entwicklungen zu nutzen, sondern auch darum, möglicherweise die dabei gemachten Erfahrungen und Ergebnisse in anderen Bereichen des Unternehmens und in einem anderen Umfeld einzusetzen. Dazu ist Gespür notwendig, welches Wissen wo im Unternehmen nützlich sein könnte.

    Begleitend zu den im IT-Projekt erarbeiteten Geschäftsprozessmodellen für Teilbereiche des Unternehmens kann - gleichsam als "Nebenprodukt" der Istanalysen - ein Geschäftsprozessmodell für das Gesamtunternehmen geschaffen werden. Dieses Geschäftsprozessmodell ist um sog. Wissensprozesse zu erweitern, so dass Maßnahmen des Wissensmanagements sicherstellen, dass das in den Geschäftsprozessen "gespeicherte" Wissen im Gesamtunternehmen zur Verfügung steht.

    Geschäftsprozesse und Workflow-Management

    Geschäftsprozesse beschreiben einen Leistungsverbund von Kunde und Lieferant, der sich an der Wertschöpfung im Unternehmen und am Kundennutzen zu orientieren hat. Die Steuerung dieser Prozesse erfolgt über ein Geschäftsprozessmanagement (siehe [2]). Ein Geschäftsprozess selbst ist eine Abfolge von Aktivitäten, um ein definiertes Ziel zu erreichen. Diese Aktivitäten sind durch rollen- oder organisationsspezifische Dienstleistungen, Aufträge, Ressourcen oder Produkte bestimmt. Unter Geschäftsprozessmodellierung versteht man - bezogen auf die Unternehmensziele - die Definition, Analyse und Darstellung der Geschäftsprozesse, die sowohl der Sicht des Management als auch den Erfordernissen der operativen Ebenen (des Vertriebs z.B.) gerecht werden müssen. Dabei unterscheidet man Kernprozesse, die über ein Produkt die Wertschöpfung schaffen, Ressourcenprozesse, in denen die für die Wertschöpfung notwendigen Mittel bereitgestellt werden und Führungsprozesse, in denen die zu erreichenden Ziele definiert werden.

    In betriebswirtschaftlich orientierten IT-Projekten werden in der Istanalyse die wertschöpfenden Geschäftsprozesse formal beschrieben, logische Abhängigkeiten verwaltet und Abläufe simuliert und analysiert. Diese Daten- und Prozessbeschreibung ist Basis für die Sollkonzeption.

    Die Integration aller an einem Geschäftsprozess beteiligten Informationen ist wesentliche Voraussetzung für eine effiziente IT-Unterstützung durch sog. Workflow-Systeme, mit deren Hilfe eine optimale Steuerung von Arbeitsvorgängen zur Reduzierung der Bearbeitungszeiten angestrebt wird. Zudem sollen damit Medienbrüche verringert, die Ausführungsqualitäten sowie die Vorgangstransparenz verbessert werden. Eine Geschäftsprozessmodellierung, der mit einem Workflow-System abzubildenden Geschäftsprozesse, bietet das Potenzial für die Optimierung der im Unternehmen eingesetzten Geschäftsprozesse.

    Eine kontinuierliche Validierung sichert den Anpassungsprozess der Realität mit den Modellen. Auf diese Weise wird ein Vorgangsmuster für das Workflow-System generiert. Im weiteren Verlauf werden schrittweise die modellierten Soll-Prozesse im Workflow-System verfeinert und getestet. Diese Ergebnisse liefern den Input für weitere Veränderungen der Geschäftsprozesse. Dieser Validierungsprozess - selbst wieder ein Geschäftsprozess - umfasst eine ganzheitliche Vorgehensweise, von der Analyse, der Konzeption einer Anwendungsarchitektur und der konkreten Realisierung bis zur abschließenden Validierung für eine permanente Prozessoptimierung.

    Vorgehensmodelle

     

    Vorgehensmodelle in der Softwareentwicklung dienen der Komplexitätsreduzierung durch Zerlegung der Entwicklungsschritte. Dadurch werden Zwischenergebnisse (=> Geschäftsprozesse) definiert. Vorgehensmodelle sind Managementmodelle! Nur die dort beschriebene Zerlegung eines Problems in abgegrenzte Bausteine ermöglicht überschaubarkeit, Plan- und Kalkulierbarkeit, Validierung und Verfikation sowie das Risikomanagement. Zusammen sind dies Voraussetzungen für Arbeitsteilung, Planung und Controlling von IT-Projekten.

    Die wesentlichen Phasen - ob nun dargestellt im V-Modell, dem Wasserfallmodell, dem Spiralmodell oder im Prototyping-Modell -soll folgendes Bild verdeutlichen:

    Die Entwicklungsmodelle sind ein Segen für die Softwareentwickler, denn sie definieren die zu erbringenden Leistungen anhand von Produkten; so steht am Ende einer Studie i.A. eine Istanalyse, die oft direkt in einen Anforderungskatalog, ein Pflichtenheft mündet, das wiederum die Basis für den nachfolgenden Entwicklungsauftrag ist, der mit Abnahme eines Softwareprodukts abgeschlossen wird.

    Dieses Vorgehen dient jedoch nicht immer dem Auftraggeber, denn an den Ergebnissen der einzelnen Phasen i.e. an der Beschreibung der Geschäftsprozesse ist er meist weniger interessiert, als an der erfolgreichen Einführung des beauftragten Softwareprodukts. In der Phase, in der die Anforderungen an ein neu zu entwickelndes Softwaresystem definiert werden, müssen ja zunächst die Probleme, die gelöst werden sollen, erfasst werden. Dies setzt eine detaillierte Beschreibung der fachlichen Probleme, der für ein Unternehmen spezifischen Geschäftsprozesse voraus, in deren Umfeld das System zum Einsatz kommen wird. Und während der nachfolgenden Phase der Analyse und des Softwareentwurfs werden die Daten- und Geschäftsobjekte definiert. Die Ergebnisse der Istanalyse, der Anforderungsdefinitionen und der Datenmodellierung "versickern" jedoch bei vielen IT-Projekten in den nachfolgenden Entwicklungsphasen, ohne dass das dort erarbeitete Wissen über das eigene Unternehmen anderen Bereichen zur Verfügung gestellt wird; es wird oft schlicht wieder "vergessen"!

     

    Unternehmensinstinkt

    Das Gedächtnis eines Unternehmens besteht aus den Erfahrungen, Praktiken und der Einstellung bezogen auf Kunden, auf das Entwicklungsprozedere, auf eigene Mitarbeiter und konkurrierende Unternehmen. Dieses Gedächtnis bestimmt die Angehensweise zukünftiger Probleme, vorausgesetzt die Umgebung ändert sich wenig. Das Motto "Neue Aufgaben erfordern neue Vorgehensweisen" zeigt allerdings auch, dass das Firmengedächtnis in einem sich schnell wandelnden Umfeld oft hinderlich sein kann. Die Vergangenheit wird immer weniger ein Vorbild für die Zukunft, im schlimmsten Fall verhindert sie sogar die Fähigkeit, alternative Wege zu finden und diese dann auch zu gehen. Je größer der Wandel ist, desto weniger wird das Gedächtnis eine Rolle bei der Lösung künftiger Aufgaben spielen.

    In den sich durch technologische Innovationen schnell ändernden Märkten und Geschäftsbeziehungen wird es einer zentralisierten Gruppe von Entscheidungsträgern schwer fallen, das Unternehmen in seiner strategischen Ausrichtung anzupassen und rechtzeitig geeignete Aktionen zu initiieren. Wohl nur ein dezentral organisiertes Wissen, auf das schnell und effektiv reagiert werden kann, wird zum Erfolg führen. Das Problem dabei ist nur, wie sich dieses dezentrale Wissen derart vernetzen lässt, dass es dem Gesamtunternehmen zur Verfügung steht, es quasi die Firma "diffundiert".

    Instinkt geht über das statische Gedächtnis hinaus. Unternehmensinstinkt bezeichnet die Fähigkeit einer Organisation, auf der Basis des Unternehmensgedächtnis neue Antworten auf neue Fragestellungen zu finden, wobei die Ursachen für die neuen Fragestellungen mit in die Antworten einfließen. Je größer der Wandel, desto größer wird die Rolle des Instinkts.

    Das in einem Unternehmensgedächtnis "gespeicherte" Wissen muss also um den Instinkt - um die Fähigkeit zur Veränderung und die Erkenntnis, warum diese Veränderung notwendig ist - erweitert werden, so dass vergangene Erfahrungen und Praktiken wiederverwendet werden können. Die Methoden des Wissensmanagements müssen daher über das reine Speichern und Wiederauffinden von explizitem und personengebundenem, implizitem Wissen hinausgehen und einen neuen Zugang, Wissen zu gebrauchen, unterstützen. Dies kann etwa durch Situationsvergleich, Betrachtung von Konsequenzen oder Relationenbildung geschehen, oder anders ausgedrückt: Das in den Geschäftsprozessen gespeicherte Wissen muss mit Hilfe des Unternehmensinstinkts an Hand des geschäftlichen Umfeldes ständig validiert werden. Dieser Kreislauf verändert den Instinkt, was wiederum Auswirkungen auf die Geschäftsprozesse hat.

    Geschäftsprozessoptimierung und Wissensmanagement

     

    Die Ausführung von Geschäftsprozessen beinhaltet implizit auch die Durchführung von Wissensaktivitäten, denn Wissen entsteht in Geschäftsprozessen und wird von ihnen benutzt. Aktivitäten des Wissensmanagement können demnach auch als Geschäftsprozesse betrachtet werden; man spricht dann von Wissensprozessen. Insofern unterliegt das Wissensmanagement der Geschäftsprozessoptimierung wie umgekehrt die Aktivitäten des Wissensmanagement zur Veränderung der Geschäftsprozesse beitragen (sollen).

    Die Betrachtung eines Prozesses als Wissensprozess bedeutet, dass jede Aktivität in diesem Prozess als Wissensaktivität betrachtet und einem Wissenstyp wie "Wissen erwerben", "Wissen entwickeln", "Wissen verteilen", "Wissen bewahren", "Wissen nutzen" oder "Wissen bewerten" (siehe [4]) zugeordnet werden kann. Gemäß der in Abschnitt 2 gegebenen Definition sind Wissensprozesse also Abfolgen von Aktivitäten, durch die Wissen erworben, entwickelt, verteilt, bewahrt, genutzt und bewertet wird. Wissen existiert im Unternehmen in

    • den Geschäftsabläufen,
    • den Informationssystemen,
    • der Firmenkultur,
    • Dokumenten als explizites Wissen und
    • den Köpfen der Mitarbeiter als implizites Wissen.

    Auf diese Weise wird das implizit vorhandene Wissen um die Erreichung der Unternehmensziele strukturiert, nach Sichten erfasst und konsistent in den Geschäftsprozessen dokumentiert.

    Die Kombination der Geschäftsprozesse mit denjenigen der Kunden oder Lieferanten ("Kundenprozesse" bzw. "Lieferantenprozesse") ermöglicht sowohl eine Verbesserung der Versorgung des Kunden und Lieferanten mit Wissen als auch die Einbeziehung dieses Stakeholderwissens in die eigenen, unternehmensinternen Geschäftsprozesse. Im Fokus steht somit die Analyse und Optimierung von Wissens- und Geschäftsprozessen. Dabei ist es sinnvoll, die Geschäftsprozessmodellierung zusammen mit der Wissensprozessmodellierung durchzuführen, denn beide Aktivitäten sind an den strategischen Unternehmenszielen orientiert, erfordern teilweise die gleichen Analysetätigkeiten und beziehen meist dieselben Personen mit ein.

    Diese Zusammenhänge und Abhängigkeiten soll folgende sich nach [3] orientierende Grafik verdeutlichen:

    Diese Sicht erlaubt die Identifizierung von Schwachstellen bzw. Brüchen im Prozessablauf und somit auch die Ableitung von Maßnahmen für die Geschäftsprozessoptimierung. So können beispielsweise durch Wiederverwendung von Wissen Ressourcen eingespart ("Optimierung von Ressourcenprozessen") oder durch die Anwendung neuer Geschäftsabläufe die Produktqualität verbessert werden. Da jede Anwendung von Wissen Gelegenheit gibt, dieses zu bewerten oder gegebenenfalls neues zu erwerben, bilden Wissensprozesse einen Kreislauf im betrieblichen Lernprozess.

     

    Links

    [1] Memory, Knowledge, Intelligence and Instinct: What is the difference?

    [2] Tünschel/Off: Zieldynamik erfordert integriertes Lifecycle - Management für eGovernment;

    [3] Köppen, A.: E-Business managen, in: Scheer, A.-W. (Hrsg.): Veröffentlichungen des Instituts für Wirtschaftsinformatik, Nr. 155, Saarbrücken 2000.

    [4] Probst/Romhardt: "Bausteine des Wissensmanagement - ein praxisorientierter Ansatz";

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