Enterprise 2.0 - Neues Denken statt neue Technologie

    13. Juni 2008 von Simon Dückert, Markus Hormess

    Die Interdisziplin Wissensmanagement ist Mitte der 90er Jahre in Schwierigkeiten geraten, als die IT-System-Hersteller den Begriff verwendet und mit ihren IT-Systemen kommerzialisiert haben. Seitdem wird Wissensmanagement oftmals mit Informationstechnologie gleichgesetzt und zeigt sich in Form der "berüchtigten" Wissensdatenbank. Die Sichtweise Wissensmanagement als wissensorientierte Unternehmensführung zu begreifen ist dagegen wenig verbreitet. Dieses Dilemma kann nur dadurch umgangen werden, dass sich eine Organisation als sozio-technisches System begreift, in dem das soziale System und das technische System miteinander in Wechselwirkung stehen. Unter dem Begriff "2.0" ist in diesem Beitrag also keine neue Version einer Techologie gemeint, sondern vielmehr eine neue Geisteshaltung innerhalb einer Organisation, die vielleicht besser geeignet ist, den Herausforderungen im 21. Jahrhundert gerecht zu werden.

    Einleitungssatz

    Web 2.0 ist nicht nur ein technisches Phänomen sondern ein sozio-technisches. Erst bei der Betrachtung beider Teilsysteme entsteht Verständnis dafür, wie Web-2.0-Technologien auf Ebene eines Unternehmens erfolgreich eingesetzt werden können.

    Organisation als sozio-technisches System

    Die Interdisziplin Wissensmanagement ist Mitte der 90er Jahre in Schwierigkeiten geraten, als die IT-System-Hersteller den Begriff verwendet und mit ihren IT-Systemen kommerzialisiert haben. Seitdem wird Wissensmanagement oftmals mit Informationstechnologie gleichgesetzt [1] und zeigt sich in Form der "berüchtigten" Wissensdatenbank. Das lässt sich daran erkennen, dass beispielsweise davon gesprochen wird, Wissensmanagement "eingeführt" zu haben. Die Sichtweise Wissensmanagement als wissensorientierte Unternehmensführung ist wenig verbreitet und auch wenn vielfach von den Disziplinen Mensch, Organisation und Technik bzw. Infrastruktur gesprochen wird, geht es letztendlich oft nur um Technik.

    Dieses Dilemma kann nur dadurch umgangen werden, dass sich eine Organisation als sozio-technisches System begreift, in dem das soziale System und das technische System miteinander in Wechselwirkung stehen. Die Organisationskultur beeinflusst, welche IT-Systeme eingesetzt werden und die eingesetzten IT-Systeme beeinflusst die Organisationskultur.

    Unter dem Begriff "2.0" ist in diesem Beitrag also keine neue Version einer Techologie gemeint, sondern vielmehr eine neue Geisteshaltung innerhalb einer Organisation, die vielleicht besser geeignet ist, den Herausforderungen im 21. Jahrhundert gerecht zu werden.

    Es folgt eine kurze Betrachtung der sozialen und technischen Systeme innerhalb einer Organisation in den Versionen 1.0 und 2.0. Die Betrachtung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll als Anregung zum Kommentieren und Weiterdenken dienen. Der Begriff Enterprise 2.0 ist hierbei von dem FastForwardBlog [7] entliehen, der sich mit der Verwendung von sozialer Software auf Unternehmensebene beschäftigt.

    Enterprise 1.0 - Soziales System

     

    Das soziale System in einem Enterprise 1.0 ist stark hierarchisch organisiert, d.h. die Machtverhältnisse sind am Organigramm und den "Schulterklappen" zu erkennen. Wissensträger und Experten sind wenig sichtbar, es gibt keine explizite Fachlaufbahn als Pendant zur Führungslaufbahn. Daraus ergibt sich, dass es für Mitarbeiter erstrebenswerter ist, Personalverantwortung zu übernehmen statt Expertise aufzubauen.

    Die interne Kommunikation erfolgt unidirektional entlang des Organigramms von "oben nach unten". Es gibt keine oder nur wenig genutzte Rückkanäle von "unten nach oben" und kaum horizontale Kommunikation. Dadurch entstehen Entscheidung, die das Wissen von der Basis nicht mit Einbeziehen sowie horizontale Wissensinseln.

    Die wichtigsten strukturgebenden Merkmale sind die Organisationseinheiten in Form von Gruppen, Abteilungen und Bereichen. Entlang dieser entstehen Wissensinseln und lokale Optima, die sich nicht am gesamten Wertschöpfungsprozess orientieren und dadurch Probleme an den Schnittstellen sowie Ineffizienzen hervorrufen.

    Das Management sieht die Organisation eher als mechanisches denn als organisches Gebilde. Der Führungsstil ist wenig partizipativ sondern eher nach dem Prinzip "Command&Deliver" organisiert. Der Schulterschluss zwischen Managern und Arbeitern, den schon Taylor [2] gefordert hat, und der heute zwischen Wissensmanagern und Wissensarbeitern benötigt wird, ist wenig ausgeprägt. Die Manager vertrauen darauf, dass Sie anweisen und kontrollieren können und unterliegen damals nicht selten der "Illusion der Kontrolle" [3].

    Die Menschen innerhalb der Organisation werden eher als Mittel denn als Zweck angesehen und behandelt. Der Zweck ist dabei oftmals rein finanzieller Natur. In vielen Fällen ist der Mitarbeiter hoch angesehen, der Wissen "besitzt" und nicht der, der Wissen "teilt", was zu Problematiken wie Herrschaftswissen sowie singulären Wissensträgern führt.

    Enterprise 1.0 - Technisches System

    Die technischen Systeme, die sich in einem Enterprise 1.0 etabliert haben, spiegelt die Situation des sozialen Systems sehr gut wieder. Die hierarchische Organisation ist auch in den technischen Systemen abgebildet. Intranets und Dateiablagen sind entlang des Organigramms strukturiert und per Berechtigung auf die jeweiligen Organisationseinheiten eingeschränkt. Daraus ergeben sich Intransparenzen und Redundanzen in der Datenhaltung.

    In den technischen Systemen werden Menschen nur wenig sichtbar, wodurch es Nutzern schwer fällt Themen mit Menschen in Verbindung zu bringen und darüber soziale Netzwerke aufzubauen. Die vertikale, unidirektionale Kommunikation spiegelt sich darin wieder, dass die meisten Inhalte in den technischen Systemen von einem kleinen Personenkreis und nach strikten Redaktions- und Freigabeprozessen erstellt werden. Es gibt meist keine Feedback-Möglichkeiten oder Funktionen, die Nutzern erlauben, selber Inhalte zu erstellen. In den meisten Fällen ist der Fokus der technischen Systeme, Inhalte zu publizieren. Funktionen zur Zusammenarbeit (Collaboration) sind kaum vorhanden.

    Die IT-Infrastrukturen bestehen aus schwergewichtigen, monoloitischen IT-Systemen, die den Anforderungen der Wissensarbeiter nur wenig gerecht werden. Es wird sehr viel mit Desktop-Applikationen und wenig mit vernetzbaren Web-Applikationen gearbeitet. Die Zusammenarbeit erfolgt durch das Erstellen von Dokumenten und dem Versand per E-Mail. Da auch die IT-Abteilungen eher funktional als prozessorientiert organisiert sind, arbeiten die IT-Systeme aus Nutzersicht nicht nahtlos zusammen. Der Nutzer muss innerhalb seiner Tätigkeiten mit unterschiedlichen Systemen arbeiten, die unterschiedlich strukturiert sind und andere Bedienkonzepte sowie Benutzeroberflächen haben.

    Enterprise 2.0 - Soziales System

    Ein Enterprise 2.0 hat verstanden, dass es die Herausforderungen seines Umfelds nur dadurch meistern kann, dass es sehr schnell lernt und sich an neue Rahmenbedingungen anpassen kann (komplexes, adaptives System). Es wird versucht, das Ideal der Lernenden Organisation Realität werden zu lassen, einer Organisation, die Wissen akquirieren, generieren und transferieren, sowie ihr eigenes Verhalten an neue Erkenntnisse anpassen kann [4].

    Hierfür ist es wichtig, die hierarchische Organisation flacher und netzartiger zu strukturieren, um Transparenz und Wissensfluss zu fördern. Neben den formalen Organisationseinheiten werden soziale Netzwerke und Communities of Practice als wichtiges Instrument erkannt und unterstützt.

    Um lokale Optimierungen innerhalb von Organisationseinheiten zu vermeiden wird prozessorientierte Denkweise konsequent gefördert. Das Ideal ist der "schlanke, verschwendungsfreie Prozess" [5]. Das Prozessmanagement wird hierbei nicht nur auf abstrakter Ebene (z.B. in ARIS) betrieben, sondern auch auf der konkreten Ausführungsebene z.B. in Form von Wiki-basierten Checklisten oder Jobmaps auf Ebene von Wissensarbeitern. Das Prozessmanagement trägt der Tatsache Rechnung, dass Wissensprozesse generell schwierig in "Boxes and Arrows" abbildbar sind und erlaubt unschärfere Modellierung von Wissensprozessen [6].

    Die Kommunikation erfolgt sowohl horizontal als auch vertikal und bidirektional. Mitarbeiter sind in Strategie- sowie Entscheidungsfindung eingebunden. Durch diese Partizipation entsteht Commitment und Motivation, die Umsetzung wird deutlich beschleunigt.

    Die (Wissens-)Manager verstehen sich als Förderer, deren Hauptaufgabe es ist, den (Wissens-)Arbeitern ein möglichst ideales, kreativitätsförderndes Umfeld zu bieten. Sie sehen dabei (alle) Menschen als Zweck an sich und nicht nur als Mittel zum Zweck an. Das "role-model" des (Wissens-)Managers ist nicht mehr der, der alles weiß, sondern der, der die richtigen Fragen stellt und die richtigen Leute zusammenbringt.

    Kontrolle als Prinzip des Managements ist durch Vertrauen ersetzt. Transparenz und klare Zielvorgaben helfen auch auf niedrigeren Hierarchiestufen gute und dem Organisationszweck (Mission) dienliche Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

    Die Belohnungssysteme sind so gestaltet, dass die Teilung von und der vorausschauende Umgang mit der Ressource Wissen konsequent belohnt werden.

    Enterprise 2.0 - Technisches System

    Auch im Enterprise 2.0 [7] spiegelt das technische System die sozialen Strukturen wieder. Es wird anerkannt, dass die kleinste Einheit der Lernenden Organisation der Mensch ist. Darüber hinaus ist sich die Organisation bewusst, dass das informelle Lernen in wissensbasierten Organisationen wichtiger ist, als das institutionalisierte Lernen in Form von Seminaren und Schulungen. Dementsprechend wird eher (sozialer) Konstruktivismus und Konnektivismus als Behaviorismus als Lerntheorie in E-Learning-Systemen verwendet.

    Die Bildung von sozialer Netzwerken wird durch Community- und Collaboration-Plattformen im Stil von Google Groups und Xing unterstützt. Derartige Communities werden bewusst als eine Form informeller Organisationsstruktur anerkannt und eingesetzt.

    Die technische Infrastruktur macht Prozesse z.B. durch navigierbare Prozesslandkarten sichtbar und Wissensobjekte sowie Wissensträger entlang der Prozessstruktur zugreifbar (prozessorientiertes Wissensmanagement). Die Plattformen für Prozessdokumentation und Prozessausführung verschmelzen, die IT-Infrastruktur wird zum "Digitalen Arbeitsplatz".

    Mitarbeiter können Ihre Meinung über soziale Medien wie Weblogs und Wikis einbringen, die IT-Infrastruktur ist so gestaltet, dass sich die Wissensarbeiter über "self-service-Funktionalitäten" selbst organisieren können. Durch Berücksichtigung der Aspekte wie Design, Einfachheit und Usability nutzen die Wissensarbeiter die "Wissensinfrastruktur" gerne und müssen nicht dazu gezwungen werden.

    Durch Weblogs wird die hierarchiefreie bidirektionale Kommunikation innerhalb der Organisation gefördert und Transparenz hergestellt. Feed-Aggregatoren erlauben, Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zusammenzuführen (z.B. Projektweblogs, CEO-Weblogs, neue Bücher in der Bibliothek, geänderte Wiki-Seiten, neue Termine) und zu vernetzen [8]. Sie lösen stückweise die Punkt-zu-Punkt-Kommunikation per E-Mail ab.

    Fazit

    Die Anforderungen an Organisationen im 21. Jahrhundert erfordern neue Management-Systeme und -Prinzipien. Die Tatsache, dass erfolgskritisches Wissen im Organigramm immer weiter unten im Organigramm lokalisiert ist, erfordert einen transparenteren und offeneren Umgang mit Wissen innerhalb der Organisation, denn wichtige Entscheidungen werden zunehmend außerhalb des Top-Management getroffen.

    Damit durch den offenen Umgang mit Medien keine negativen Folgen entstehen, muss an der Unternehmenskultur, vor allem an Vertrauen und Loyalität gearbeitet werden, eine große Herausforderung, die einen Schulterschluss zwischen Management, Organisationsentwicklung, Personalentwicklung, Prozess-/Qualitätsmanagement und IT-Management erfordert.

    Web-2.0-Technologien und vor allem die dahinter steckenden Werte und Prinzipien können helfen, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Wichtig ist bei der Anwendung solcher Technologien, das soziale System, das für einen Erfolg notwendig ist, mit in Betracht zu ziehen. Organisationen, deren erste Frage bei der Einführung eines Wikis ist, wie man dieses mit Zugriffsschutz versehen kann, haften vermutlich noch der 1.0-Denkweise an. Das Motto sollte lauten: Go be 2.0!

    Überblick

     

    Enterprise 1.0

    Enterprise 2.0

    Soziales System

    Hierarchisch

    Netzartig

    Unidirektionale Kommunikation

    Bidirektionale Kommunikation

    Organisationseinheiten

    Soziale Netzwerke

    Funktionsorientiert

    Prozessorientiert

    Mechanische Organisation

    Lernende Organisation

    Command & Deliver

    Partizipation

    Manager + Erfüllungsgehilfen

    Wissensmanager + Wissensarbeiter

    Kontrolle

    Vertrauen + Autonomie

    Mensch als Mittel

    Mensch als Zweck

    Wissen besitzen

    Wissen teilen

    Technisches System

    Company-generated content

    User-generated content

    Content

    Collaboration

    read-only

    read/write/execute

    Monoloitische Systeme

    Small Pieces loosley joined […]

    Desktop

    Web

    CMS, E-Mails und Dokumente

    Weblogs und Wikis

    Taxonomien

    Taxonomien + Folksonomien

    Standard: kein Zugriff

    Standard: Zugriff

     

     

    Literatur

     

    [1] T.D. Wilson: "The nonsense of Knowledge Management", informationr.net/ir/8-1/paper144.html.

    [2] F. W. Taylor: "Principles of Scientific Management".

    [3] James A. Autry, Stephen Mitchell: "Die Illusion der Kontrolle. Das Tao-Te-King für Führungskräfte".

    [4] David A. Garvin: "Building a Learning Organization" in Harvard Business Review on Knowledge Management.

    [5] Jeffrey K. Liker: "The Toyota Way".

    [6] Tom Davenport: "Thinking for a Living. How to get better Performance and Results from Knowledge Workers".

    [7] "FastForwardBlog - A hosted discussion on Enterprise 2.0", www.fastforwardblog.com.

    [8] David Weinberger: "Small Pieces loosely joined".

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